Eva Johach

Insektengesellschaften. Exkursionen ins soziale Imaginäre

Das Forschungsprojekt erkundet den Ort, den Insektengesellschaften innerhalb des sozialen Imaginären der Moderne besetzen. Gezeigt wird, dass zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert anhand von sozialen Insekten ein – Menschen wie Tiere umfassendes – phantasmatisches Wissen über die (Entwicklungs-)Gesetze des Sozialen entwickelt wurde, in dem sich anthropologische, zoo-logische und sozialtheoretische Wissensformen durchkreuzen. Im Spannungsfeld zwischen einer Anthropomorphisierung tierischer Lebensformen und der umgekehrten Dynamik einer Zoologisierung des Menschen nimmt „das Soziale“ Gestalt an, als ein drittes, das die Grenzen von Natur und Kultur überspannt. Modellbildende wie auch phantasmatische Bedeutung als Spiegelfolie für menschliche Gesellschaften gewinnen die sozialen Insekten insbesondere zu einem Zeitpunkt, als die Konstitutionsbedingungen von Gesellschaft jenseits von Vernunft und Verträgen gesucht werden, in unbewussten Automatismen, Somnambulismen oder der integrativen Kraft sozialer Medien. Die Gesellschaften von Bienen, Ameisen und Termiten gewinnen dann eine besondere Anziehungskraft – versprechen sie doch, gerade wegen ihrer fundamentalen Fremdheit Aufschluss über grundlegende Mechanismen der Vergesellschaftung zu geben, die gleichsam unterhalb der Bewusstseinsschwelle liegen. Der Blick auf diese tierische Gesellschaftsform ist dabei von einer grundlagenden Ambivalenz geprägt: Einerseits verkörpern sie den Idealzustand perfekt integierter, harmonischer und evolutionär höchst stabiler Gesellschaften, andererseits stellen sie den Preis vor Augen, der hierfür errichtet werden muss: völlige Aufgabe des Individuums, totale Einfügung ins Kollektiv, soziale und sexuelle Kastenbildung.  Da sie dank ihrer hochgradig arbeitsteiligen Organisation zudem keineswegs als „primitive“, sondern vielmehr „modern“ anmutende Form der Vergesellschaftung erscheinen, haben sie in der Moderne oftmals zu futuristischen Visionen inspiriert. Typisch hierfür ist eine imaginierte Konkurrenz, bei der der Mensch den Vorsprung der Insekten erst noch einzuholen hat – freilich um den Preis, dabei auf dystopische Zustände zuzusteuern. Das Forschungsprojekt zeichnet diese Auseinandersetzungen mit Insektengesellschaften in ihren Aporien nach. Gefragt wird nicht nur nach dem Beitrag, den Insektengesellschaften für die Genese des modernen Gesellschaftsbegriffs geleistet haben, sondern auch den poetologischen Mechanismen, die auf diesem sozialtheoretischen Nebenschauplatz wirksam sind und die Wissensgeschichte sozialer Insekten erst eigentlich zu einer Faszinationsgeschichte machen.

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