Jan von Brevern

Wissenslandschaften

Während die Fotografie in den Erdwissenschaften der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewann und bereits die ersten  "Photogeologen" durch die Alpen zogen, war die Zeichnung für viele Wissenschaftler immer noch das Medium der Wahl. Gerade in der aktiven Übersetzung des Seheindrucks in eine signifikante Formensprache lag ihnen zufolge eine epistemische Qualität, die durch die Erfahrung und die produktive Einbildungskraft des Wissenschaftlers realisiert werden konnte. Wenn man die Zeichnung in diesem Sinne aber nicht als  nachgeordnete Illustration, sondern als Instrument der Naturaneignung versteht, kommt ihren ästhetischen Konventionen eine entscheidende  Rolle zu: Wie ein Wissenschaftler zeichnet, ob er die Flächen oder die Linien betont, nach welchen Kriterien er zu zeichnen gelernt hat  und an welche Darstellunsgmodi er sich hält – all das stellt sich als  wesentlich für die Forschungsergebnisse heraus. Die frühe wissenschaftliche Alpenfotografie wiederum orientierte sich  in ihrer Anfangszeit ästhetisch vielfach an Mustern, wie sie in der Kunst seit dem 18. Jahrhundert durch Zeichnung und Malerei geprägt wurden. Dennoch schreiben ihre Befürworter ihr völlig andere epistemische Eigenschaften als der Zeichnung zu; für die Fotografie entsteht so eine merkwürdige Mischung aus ästhetischer Konventionalität und erkenntnistheoretischer Innovation, der ich u.a. in meiner Arbeit nachgehen möchte.

Das Konzept von »Landschaft« wird spätestens seit den 1960er Jahren als komplementär zur wissenschaftlichen Naturaneignung verstanden. Demgegenüber möchte ich die Relevanz der ästhetischen Naturaneignung  für die Erdwissenschaften im 19. Jahrhundert untersuchen. Ästhetische onventionen werden dabei von mir weniger als motivische Prägungen verstanden, sondern vielmehr im Wortsinne als Grundlage allen Wahrnehmens – und damit auch als Ermöglichung und Grenze dessen, was über Natur gedacht werden kann.

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