Margarete Pratschke

Hinweis: Die zweite Projektbeschreibung ist nur auf Englisch verfügbar.

Ordnung und Differenz. Rudolf Arnheims und Ernst Gombrichs transdisziplinäre Theorien visueller Erkenntnis

Sowohl vom Kunstpsychologen Rudolf Arnheim als auch vom Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich liegen Entwürfe zu einer Theorie visueller Erkenntnis vor, die aus der Perspektive der Kunst bzw. Kunstgeschichte im expliziten Bezug auf die Gestaltpsychologie sowie in der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen und experimentellen Verfahren entwickelt wurden. Sie beide stehen in ihren Positionen damit nicht nur für eine „Bildwissenschaft vor der Zeit“ innerhalb des Faches Kunstgeschichte, sondern bilden Schlüsselpositionen in der Rezeption und Verbreitung bildhaften Denkens jenseits disziplinärer Grenzen. Zugleich lässt sich anhand der Genese ihrer Konzepte zum visuellen Denken eine zentrale Funktion der Gestaltpsychologie zwischen Kunst und Naturwissenschaften herausstellen, die sich insbesondere in der Künstlichen Intelligenz-Forschung und Teilen der Computerwissenschaft der 1960er und 1970er Jahre als Alternative zu kybernetischen Modellen niederschlägt.

Im Zentrum der vergleichenden Analyse soll dabei vor allem die Frage nach dem Prinzip von bildlicher Ordnung, ordnendem Sehen und dem Erkennen von Differenz im Rahmen experimenteller wissenschaftlicher Bildpraxis stehen, die sich in abstrakt-geometrischen Grundformen, Strukturen, Rastern und Mustern manifestiert. Grundlage für diese Fragestellung bilden Rudolf Arnheims „Visual Thinking“ (1969) und Ernst Gombrichs „Sense of Order“ (1979), die sich jeweils mit dem erkenntnisstiftenden Moment des Sehens befassten. Während Arnheims „Visual Thinking“ die zuvor in „Art and Visual Perception“ (1954) grundgelegten Thesen fortführte und zuspitzte, ist der weitaus schwächer rezipierte Band Sense of Order von Gombrich, der gelegentlich als reines Ornamenten-Buch angesehen wurde, als komplementär zum Vorgängerband „Art and Illusion“ (1960) zu verstehen, indem er den Schwerpunkt vom Thema der Repräsentation auf Überlegungen zur Abstraktion verlagerte. Obwohl Gombrich und Arnheim historisch bzw. spezifisch kunsthistorisch argumentierten, bezogen sie die erkenntnisstiftende Funktion des Sehens jedoch nicht allein auf die Erklärung von Bildformen der Kunst. Vielmehr verbanden sie mit ihren Bildtheorien einen grundlegend wissenschaftstheoretischen Anspruch und sahen in der ordnenden Bildwahrnehmung ein generelles Prinzip wissenschaftlicher Erkenntnisbildung am Werk, „the crucial operations of discovery and invention“ (Arnheim 1969) bzw. „the logic of scientific discovery“ (Gombrich 1979), und stellten ihre Argumentation hierfür auf die Basis experimentell erlangter Ergebnisse aus Gestaltpsychologie und Künstlicher Intelligenz-Forschung.

Die von Arnheim und Gombrich erarbeiteten Vorstellungen anschaulichen Denkens sollen zugleich vor der Folie wissenschaftlicher Bildproduktion ihrer Zeit erörtert werden. So entstand in den 1960er Jahren ein zunehmendes interdisziplinäres Interesse an der Bildpraxis und den epistemischen Bildern der Naturwissenschaften, wie es sich etwa in den Publikationen des Künstlers und Begründers des Center for Advanced Visual Studies am MIT, György Kepes ausdrückt. In Bänden wie „Structure in Art and Science“ von 1965 und „Module, Symmetry, Proportion, Rhythm“ von 1966 etc. manifestiert sich dies in den zahlreichen Abbildungen abstrakter Formen und Strukturen künstlerischer wie wissenschaftlicher Provenienz, für deren Erkenntnispotential Arnheim und Gombrich eine theoretische Fundierung zur Verfügung stellten. 

Looking at Pictures. Ways of Understanding Images and Perception in Psychology and Art History since 1945

Over the last twenty years major impulses for novel research questions in the humanities have been indebted to the so-called “iconic turn”. With the main protagonists coming from the fields of art history, visual studies and science studies, this turn came with a range of theoretical considerations for better understanding the epistemic functions of images in scientific contexts, as well as the techniques of observation, and visual thinking. Remarkably, since the iconic turn, the psychology of perception has remained a blind spot for the proliferation of image theories—in terms of the specific historical references and traditions. This project intends to bring the history of psychology back into the focus of this field of research.

By reconstructing the continuous formative influence of psychological concepts on the perception of art and images as well as on the discipline of art history during the 20th century, the project wants to develop an alternative pre-history of the iconic turn. It is all the more significant to comprehend the historical entanglements of perception, psychology and art history today, as some recent trends do indicate a ‘return of (neuro-)psychology’ within art history. These projects – experimental art history, so-called neuro-aesthetics and others – appeal through their promise of turning disciplines like art history into an exact and applied “Geisteswissenschaft”. But their further consequences, i. e. their possibilities and limitations, for the discipline of art history, and more generally, the humanities are frequently underestimated.

The project’s historiographical objectives therefore are threefold: 1) to systematically explore the historical exchange between notions of image perception, art history and psychology in the second half of the 20th century, 2) to reconstruct a “visual turn” after World War II that triggered this intersection, and 3) to reconstruct the boundary work art history was committed to as an academic discipline––in particular, the challenges that followed from encounters of psychology and art history through practical contexts like visual education, or “art psychology”. By way of scrutinizing historical key issues, on a more systematical level the project’s overall goals are to deliver new impulses for image theory, as well as to develop a set of critical instruments for assessing today’s challenge of “applied humanities”.

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