Hendrik Adorf

Grenzgebiete. Physis, Psyche und das Paranormale, ca. 1930–1960

Der ETH-Physikprofessor Wolfgang Pauli stand in den Jahren zwischen 1934 und 1958, Paulis Todesjahr, in engem Briefkontakt mit dem Tiefenpsychologen C. G. Jung und Personen aus dessen Umfeld. Pauli interessierte sich in diesem Austausch insbesondere für die Möglichkeit, die Sprachen der Physik und der Jungschen Psychologie ineinander zu 'übersetzen' und auf diesem Wege sowohl der Physik als auch der Psychologie neue Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dabei war Paulis und Jungs zentrale Annahme, dass Psychologie und Physik eigentlich von ein und demselben Gegenstand sprechen, dies aber von verschiedenen Standpunkten aus tun. Beide Perspektiven könnten sich wechselseitig ergänzen, so die Hoffnung, wenn man es nur schaffe, ihre Differenz zu überbrücken.

Wiederholt diskutieren Pauli und Jung in ihren Briefen das Konzept der Synchronizität, 1952 erscheint dazu ihre gemeinsame Buchpublikation "Naturerklärung und Psyche". Zudem interessieren sich beide für parapsychologische Experimente zur außersinnlichen Wahrnehmung ('extra sensory perception', ESP-Experimente), die in jener Zeit an der Duke University in Durham (North Carolina, USA) im Labor von J. B. Rhine durchgeführt werden.

Angesichts des in den Kreisen der ersten Generation von Quantenphysikern breit vorhandenen Interesses an Fragen nach dem Bewusstsein und angesichts ihres Bemühens um einen neuen epistemologischen und weltanschaulichen Rahmen für die Naturwissenschaften, ist es eine zentrale Frage, wie Paulis Interessen und Problemstellungen mit den Diskursen der modernen Physik und ihrer Deutung verbunden sind und wie diese Diskurse bei Pauli und seinen Diskussionspartnern weitergeführt und transformiert werden. Von großer Wichtigkeit ist außerdem, dass neben den einschlägigen Physik-Diskursen noch weitere Ressourcen mobilisiert werden: Paulis Träume, Jungs Psychologie, parapsychologische Experimente, historische Debatten und Figuren wie Johannes Kepler und Robert Fludd, Lektüren von Schopenhauer und Aristoteles. Zentraler Angelpunkt meiner Analyse ist deshalb die Frage danach, wie und zu welchen Zwecken dergestalt disparates Material verwendet und zusammengeführt wird und wie dabei die Grenzen disziplinärer Wissensansprüche verhandelt und verschoben werden.

Quantentheorie und Bewusstsein. Der Physiker David Bohm, populäre Naturphilosophie und Bewusstseins-Diskurse im späten 20. Jahrhundert

In den 1970er- und 1980er-Jahren entwickelte der theoretische Physiker David Bohm mit Blick auf die Wissenschaften eine allgemeine Kosmologie der 'impliziten' und 'expliziten' Ordnung und des 'Holomovement', welche er auch für eine Theorie des Verhältnisses von Geist und Materie fruchtbar zu machen versuchte. Begleitet wurde dieser kosmologische Entwurf von einer Theorie des Forschungsprozesses, in der die Bedeutung von Intuition, Kreativität und der Expansion der Wahrnehmungsfähigkeit seitens der forschenden Individuen betont wurden – mit pädagogischen Implikationen, die Bohm ebenfalls diskutierte.

Zugrunde liegt diesen Arbeiten Bohms ein Diskurs über den Realitätsbegriff der Naturwissenschaften und den Beobachtungsvorgang in der Quantenmechanik und Quantengravitation, dessen Ursprünge bis in die 1930er-Jahre zurückreichen. Während der 1970er- und 1980er-Jahre eröffnete sich jedoch ein breiteres Spektrum an Foren, die es erlaubten, den Diskurs intensiver zu führen und auszuweiten. Unter diesen Vorzeichen spekulierten diverse Protagonisten aus der theoretischen Physik über den Entwurf einer alternativen Naturordnung und über eine Revolution der Wissenschaften, in deren Zuge das Subjekt und sein Bewusstsein in den Prozess der Naturforschung und der Naturbeschreibung integriert würden. Derartige Aussichten wurden in Teilen der New Age Szene wie auch der Umweltbewegung mit einiger Begeisterung rezipiert, versprachen sie doch nichts Geringeres als eine Transformation und Therapie der 'westlichen' Gesellschaft und ihrer Wissenschaften.

Im Projekts gilt es, den naturphilosophischen Diskurs der Quantenphysiker in seinen medialen, ökonomischen und institutionellen Strukturen aufzuarbeiten wie auch die metaphysischen Grundannahmen und intellektuellen Referenzen seiner Teilnehmer freizulegen. Nicht zuletzt soll die Aufmerksamkeit dabei auch auf die disparate Rezeption und der in ihrem Zuge stattfindenden Transformationen dieses Diskurses gerichtet werden: Mich interessiert, wie die Protagonisten, die mit ihren Entwürfen zwar deutlich an Diskurse der theoretischen Physik anschließen, innerhalb dieser Disziplin jedoch keine große Beachtung finden, auf andere Anschlussmöglichkeiten ausweichen, neue Allianzen eingehen und in physikfernen Kontexten zu 'Vordenkern' aufgebaut und für verschiedenste Zwecke herangezogen werden. Auf diese Weise sind vielschichtige hybride Formationen entstanden, die zwischen theoretischer Physik und Psychologie, Naturphilosophie und Bewusstseinsforschung, Gesellschaftskritik und New Age Utopien, der Hinwendung zu einem vermeintlich 'östlichen' Wissen und einem Versprechen auf Erneuerung 'westlicher' Wissenschaft changieren und dabei ein heterogenes Bündel von Diskursen untereinander verknüpfen und miteinander in Resonanz bringen.

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert