Konstanze Weltersbach

Visualisierungen in der Geschichte der Paläoanthropologie

Für die Anthropologie und Archäologie ist wie für jede andere wissenschaftliche Disziplin die bildliche Präsentation von Wissen ein wichtiges Werkzeug zur Selbstdefinition.

Anthropologisch und Archäologisch motivierte Bilder oder Rekonstruktionen sind mehr als nur nachträgliche Visualisierungen schon in verbaler Form formulierter Theorien. Sie wirken sehr überzeugend; sie prägen sich stärker ein als Texte, weil sie (oft) stabilere Bilder im Kopf erzeugen. Auch lassen sie nur einen geringen Spielraum für eigene Interpretationen. Manche Rekonstruktionen werden wieder und wieder reproduziert und in verschiedenen Kontexten gezeigt. Sie lösen sich vom ursprünglichen Bezugsrahmen und repräsentieren nicht mehr das ursprünglich Dargestellte. Stattdessen verweisen sie auf einen Meilenstein in der Entwicklung des Faches.

Mein Projekt soll einen Beitrag zur Rekonstruktion von Wortschatz und Grammatik der paläoanthropologischen Bildsprache liefern. Der Übergang zwischen archäologischen und anthropologischen Darstellungen ist oft fliessend, weil das ikonographische Vokabular den gleichen Ursprung hat. Das kann man unter anderem daran erkennen, dass sich archäologische Studien auch mit den Grundlagen anthropologisch motivierter Lebensbilder befassen. Während man in der Archäologie aber die Funktion der Artefakte durch Experiment, Vorstellungskraft und ethnographische Vergleiche zu erschliessen versucht, kann man bei Rekonstruktionen früher Menschen Statur und Muskelaufbau direkter herleiten, indem man direkt auf dem vorhandenen Knochenmaterial aufbaut. Eine grössere Nähe zum Material wird schnell mit einem höheren Wahrheitsgehalt gleichgesetzt. Im begleitenden Text wird zusätzlich oft ein Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit erhoben, wenn die Rekonstruktionszeichnungen und Skulpturen in wissenschaftlichen und populären Zeitschriften publiziert, in Museen ausgestellt oder auf Kongressen vorgestellt werden. Die Brisanz der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden beruhenden Rekonstruktionen und Lebensbilder lässt sich auch an der frühen Diskussion um ihren Wert für die Anthropologie erkennen.

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