Mario Wimmer

Das Projekt zur Zeitlosigkeit ist Teil meines Interesses an einer Geschichte des historischen Sinns. Ende des 18. Jahrhunderts entstand eine neue Wahrnehmungsweise, die die Welt in ständigen Wandel versetzte. Gleichzeitig mit dem neunen historischen Denken und Empfinden entstand als dessen blinder Fleck eine Vorstellung von Zeitlosigkeit, die nicht nur Historiker davon abhält, Phänomene zu erkennen und zu beschreiben, die von diesem permanenten Wandel ausgenommen und womöglich dessen Voraussetzung sind. Dabei denke ich an moderne Vorstellungen wie "Völker ohne Geschichte", das psychoanalytische Unbewußte, oder die Vorstellung von zeitloser Ästhetik in modernem Design. So unterschiedlich diese verschiedenen Phänomene sind, so lassen sich bestimmte gemeinsame Charakteristika in historischem Kontext beschreiben. 

In der ersten Projektphase geht es vor allem um vier Bereiche moderner Zeitlosigkeit, nämlich

  • Zeitlosigkeit im historischen Denken
  • den zeitlosen Charakter des pschoanalytischen Unbewußten
  • "Völker ohne Geschichte" und
  • Organismusvorstellungen als Voraussetzung für historisches Entwicklungsdenken

Archivkörper ist eine Geschichte modernen historischen Denkens im Archiv, die mit dem Begriff des "Archivkörpers" eine Formulierung deutscher Archivare aufgreift und entlang dieser Vorstellung das Denken von Archivaren und Historikern historisiert. Die Studie besteht aus drei Teilen, die man knapp miteinander in Beziehung setzen kann:

Erstens die Entstehung eines Papierorganismus in der Praxis deutscher, aktenbasierter Verwaltung und seine Beschreibung als "Archivkörper" durch deutsche und österreichische Archivare.

Im zweiten Teil geht es um den abweichenden und wenn man so möchte perversen Gebrauch dieser "Archivkörper". Durch die Archivaliendiebstähle des Historikers und Privatgelehrten Karl Hauck über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg und die Entdeckung der Diebstähle durch den Staatsarchivrat Heinrich O. Meisner, wird deutlich, wie prekär die Konstitution dieser "Archivkörper" ist. Als nach Haucks Verhaftung sich auch noch herausstellte, dass er Teile dieses Körpers aufgrund einer seltsamen nekrophilen Neigung fetischisierte, wurde diese Episode der Archivgeschichte zu einem handfesten Skandal und einem aufsehenerregenden Ereignis in der Medienöffentlichkeit der Zwischenkriegszeit.

Im dritten Teil analysiere ich die unbewussten Voraussetzungen, die diese Leidenschaft antrieben und komme dabei zu dem Schluss, dass sie mehr mit dem Denken von Archivaren und der Vorstellungskraft von Historikern zu tun hat als man im ersten Moment annehmen konnte. Schließlich ziehe ich die Konsequenzen aus diesen Überlegungen und reflektiere anstatt eines Resümees über die eigene Forschungspraxis, indem ich zeige, dass sich die Überlieferung der Geschichte von Karl Hauck der Archivpolitik der Nationalsozialisten verdankt, die sie als Dokument des perversen Charakters der Weimarer Republik bewahrt wissen wollten. Grund genug, abschließend darüber nachzudenken, wie man in so einer Situation als Historiker einen angemessenen Umgang finden kann ohne unfreiwillig den Blick der Nazis auf die Weimarer Kultur zu übernehmen.

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